Krankheiten treffen nicht alle gleich. Die Wissenschaftshistorikerin Edna Bonhomme zeigt, wie Epidemien Rassismus, Armut und Ausgrenzung verstärken können.
“Jeder, der geboren wird, besitzt zwei Staatsbürgerschaften, eine im Reich der Gesunden und eine im Reich der Kranken”, schrieb die US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag. Die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Edna Bonhomme nimmt diesen Gedanken auf und zeigt in ihrem jetzt erschienenen Buch “Eingesperrt und ausgegrenzt”, wie ungleich die Grenzen zwischen diesen beiden Reichen verlaufen.
Die Autorin schreibt über Krankheit und Macht. In “Eingesperrt und ausgegrenzt” will sie am Beispiel verschiedener Epidemien aufzeigen: Gesundheit hängt ab von der Herkunft, der Klasse, dem Geschlecht, dem Zugang zur medizinischen Versorgung und dem Grad der politischen und persönlichen Freiheit.
Sie greift dabei auch auf eigene Erfahrungen zurück. Ihre eigene Krankheitsgeschichte beginnt im Sommer 1988. Damals, als kleines Mädchen, erkrankt sie an Typhus und wird in einem Krankenhaus in Miami isoliert. Die Angst und Einsamkeit dieses Aufenthalts prägten sie bis heute, sagt sie.
Mit ihrem Buch will sie auch belegen, dass “Pandemien klein anfangen, durch Versäumnisse größer werden und Schwachstellen hinterlassen, die wir meist nicht beseitigen, bevor die nächste Pandemie ausbricht.” Sie erklärt, wie Menschen in Krisen gerne nach einfachen Lösungen suchen, aber damit oft genug das Fundament für spätere noch tiefgreifendere Probleme legen.
In sechs Kapiteln folgt Bonhomme den Spuren von Epidemien durch die Geschichte: von der Cholera auf US-amerikanischen Plantagen über die Schlafkrankheit in den deutschen Kolonien Afrikas bis hin zu Aids, Ebola und Corona. Ihre These ist: Seuchen treffen nicht alle gleich. Wer ausgegrenzt lebt, wird auch kränker.
Sie beginnt mit ihrer Darstellung im 19. Jahrhundert. Damals behaupteten Mediziner wie Samuel Cartwright, schwarze Menschen seien “glücklicher” unter Versklavung und biologisch minderwertig. Cartwright und seine Kollegen führen eine “Plantagenmedizin” ein, bei der die versklavten Menschen weder informiert noch einbezogen werden. Die “Plantagenmedizin” diente nicht der Heilung, sondern in erster Linie der Aufrechterhaltung der Sklaverei, wie Bonhomme schreibt.
Robert Koch gilt als einer der Väter der modernen Mikrobiologie und wird dafür entsprechend verehrt. Bonhomme rückt eine weniger bekannte Seite seiner Arbeit ins Licht, nämlich seine Rolle im kolonialen Afrika. Ende des 19. Jahrhunderts reiste Koch in die damalige deutsche Kolonie Ostafrika, um die Schlafkrankheit zu erforschen. Dabei nutzte er keine Labore, sondern Menschen.
In eigens eingerichteten “Behandlungsstationen” testete er experimentelle Medikamente an der lokalen Bevölkerung, in der Regel ohne deren Einwilligung. Die Behandlung hatte meist fatale Folgen, denn er setzte unter anderem ein Medikament ein, das in Deutschland schon verboten war. Was dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen sollte, so Bonhomme, war zugleich Teil eines kolonialen Kontrollsystems. Krankheiten wurden nicht nur behandelt, sondern auch benutzt, um die koloniale Herrschaft zu legitimieren.
Auch Jahrzehnte später wiederholen sich nach ihren Erkenntnissen altbekannte Muster. In den 1980er Jahren stigmatisieren US-Behörden die Einwanderer aus Haiti als Risikogruppe für HIV/Aids, einzig aufgrund ihrer Herkunft. Viele von ihnen verloren daraufhin ihre Arbeit und ihre Wohnung, ohne dass sie erkrankt waren. In der Folge musste die Gemeinschaft mit sozialer Ächtung leben. Ihre Eltern hätten das hautnah in Miami miterlebt, erzählt Bonhomme, die haitianische Wurzeln hat.
Und dann kam Corona. Diese Pandemie hat die Autorin in Deutschland zusammen mit ihrem Partner durchgestanden. Sie fühlten sich wie viele andere Menschen auch an ihre persönlichen Grenzen geführt. Sie nimmt aus ihren Erfahrungen mit, dass der Lockdown nicht Solidarität gefördert, sondern soziale Gräben vertieft habe. Er habe gezeigt, wessen Leben als schützenswert gegolten habe und wessen nicht.
Als Konsequenz fordert sie ein Gesundheitssystem, das soziale Ungleichheit nicht verstärkt, sondern abbaut. Sie ist der Meinung, dass nur eine gerechte Gesellschaft auch eine gesunde Gesellschaft sein könne.