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Wie der Mittelfinger des heiligen Nikolaus nach Halberstadt kam

Es gibt Bischöfe, die sind der Nachwelt nur im Gedächtnis geblieben, weil sie ihrem Bistum etwas Besonderes verschafften. So ist es auch mit Konrad von Krosigk – der dafür einen sehr weiten Weg machte.

In Halberstadt im Harz, da müssen die Kinder im Dezember nicht auf den Nikolaus warten. Sie können gleich zu ihm rübergehen, ins Dommuseum der 38.000 Einwohner-Stadt. Freilich sitzt da nicht der leibhaftige Nikolaus im roten Mantel, der Wohltäter der Kinder. Es handelt sich um eine mumifizierte Finger-Reliquie des Heiligen aus Myra, von der Südküste der heutigen Türkei. Sie befindet sich seit dem 13. Jahrhundert in Halberstadt, in einem prächtigen Armreliquiar unter Bergkristall mit Gold und Edelsteinen.

Es war der Halberstädter Bischof Konrad von Krosigk, der diese und andere Reliquien von weit her mitbrachte. Und das kam so: Seit 1201 Bischof, zog sich Konrad als Parteigänger der Staufer den Zorn von Papst Innozenz III. zu, zuletzt sogar den Kirchenbann. Um sich davon zu lösen, schloss er sich 1202 dem Vierten Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems an.

Bekanntlich verlief dieser Kreuzzug chaotisch und katastrophal, ja schändlich. Erst wurde auf Betreiben Venedigs die christliche Stadt Zadar an der Ostküste der Adria geplündert. Dann wandten sich die Kreuzfahrer gegen ihre byzantinischen Glaubensbrüder in Konstantinopel – das ebenfalls mit Venedig, dem “Transporteur” der Kreuzfahrer, im Clinch lag. Im April 1204 plünderten sie die wichtigste Stadt der Christenheit, mordeten, zerstörten und raubten an Gold- und Reliquienschätzen, was nicht niet- und nagelfest war.

Die Beute zerstreute sich über ganz Westeuropa. Venedig nahm sich als größter Gläubiger von Byzanz den größten Batzen. Doch gleich danach kam schon der Bischof von Halberstadt, der seine Früchte der Plünderungen im August 1205 in einer Art Triumphzug durch die Stadt tragen ließ. Eine Schenkungsurkunde von 1208 benennt die von Konrad erbeuteten Schätze wie folgt: mehr als 50 Reliquien, zumeist in kostbarer Fassung, 7 Gefäße aus Gold und Silber, 21 kunstvoll bestickte Tuche und 4 Gewänder.

Neben dem Finger des heiligen Nikolaus gibt es da eine Schädelreliquie des Apostels Jakobus des Jüngeren; eine große vergoldete Hostienschale aus dem 12. Jahrhundert und andere Altargeräte; ein großes Tafelreliquiar mit rund 200 Edelsteinen und Perlen; Splitter des Heiligen Kreuzes, kleine Teile der Dornenkrone Christi, Haare und Gewandfasern Mariens, Reliquien der zwölf Apostel und zahlreicher Heiliger und Märtyrer der Ostkirche.

Nach der Plünderung Konstantinopels hatte sich Konrad von Krosigk immerhin noch ins Heilige Land aufgemacht und dort Tyrus besucht. Auf dem Rückweg ließ er sich in Rom vom Kirchenbann lösen und kehrte als Triumphator nach Halberstadt zurück.

Vier Jahre später, 1209, legte Konrad sein Bischofsamt schließlich nieder und trat in das Zisterzienserkloster Sittichenbach ein, heute in der Lutherstadt Eisleben gelegen. 1213 erschien er noch einmal in der Kirchenprovinz Magdeburg – offenbar der Kreuzzüge doch noch nicht müde – als päpstlicher Kommissar zur Vorbereitung des nächsten, der nach Damiette in Ägypten führen sollte.

Vor 800 Jahren, am 21. Juni 1225, starb Konrad von Krosigk. Zwar hatte er seiner Bischofskirche eine ganze Liste urkundlicher Schenkungen überschrieben. Gleichwohl gab es Streit mit dem Kloster Sittichenbach, das seinerseits Ansprüche auf Beutestücke aus Konstantinopel erhob.

Am romanischen Dom von Halberstadt war lange gebaut worden; erst 1220 wurde er geweiht. Starke Konkurrenz erwuchs der Stadt allerdings durch das neue Erzbistum Magdeburg – das nun schon gotisch baute. Um nicht abgehängt zu werden, gab es dann bald auch in Halberstadt einen “modernen” gotischen Neubau – mit dem Zulauf und den Einnahmen aus den attraktiven Reliquien von Konstantinopel im Rücken.

1591 führte Bischof Heinrich Julius am Halberstädter Dom die protestantische Lehre ein. Allerdings hielt sich noch über den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) hinaus ein gemischtkonfessionelles Domkapitel. Dadurch wurde der Domschatz nie geplündert; ein Bildersturm wie in Konstantinopel blieb aus. Erst nach der Aufhebung des Domkapitels 1810 wurde der Dom eine evangelisch-lutherische Pfarrkirche.

Der Schatz, der im Zweiten Weltkrieg in einen Stollen nahe Quedlinburg in Sicherheit gebracht wurde, ist heute Eigentum der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt. Mit knapp 1.000 Stücken wird er als der angeblich “wichtigste Kirchenschatz außerhalb des Vatikans” bezeichnet.

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