Artikel teilen:

Von Brück nach Jerusalem: Friedensglocke geht auf Reisen

4800 Kilometer, sieben Kutschen, 20 Pferde und 30 Menschen – der Verein Friedensglocke macht sich auf den Weg nach Israel. Heute, genau 80 Jahre nach Kriegsende, startet der Treck von Berlin aus.

Am 8. Mai startet der Pferdetreck mit der Friedensglocke. Die Reise geht nach Israel
Am 8. Mai startet der Pferdetreck mit der Friedensglocke. Die Reise geht nach IsraelSusanne Atzenroth

Die kleine Glocke wandert von Hand zu Hand. Acht Seniorinnen und Senioren im Meyenburger Pfarrhaus im Kirchenkreis Prignitz nehmen sich Zeit, die Inschriften genau anzuschauen. „Jaget dem Frieden nach mit jedermann.“ Dieser Vers aus Hebräerbrief 12 ist zu lesen und in 13 Sprachen läuft das Wort Frieden als Inschrift um den Rand der Glocke. „Vorsichtig über dem Tisch weiterreichen“, sagt Pfarrer Helmut Kautz in die Runde. Das gute Stück ist ein originalgetreues Duplikat und ebenso zerbrechlich wie die 70 Zentimeter hohen Friedensglocke, die am 6. Mai in Brück ihre große Reise nach Jerusalem antrat.

Friedenstreck reist durch 13 Länder von Brück nach Jerusalem

Bei Kaffee und Kuchen berichtet Helmut Kautz von einem schier unglaublichen Projekt: Ein Friedenstreck durch 13 Länder Europas, über die Türkei und dann weiter auf dem Land- oder Seeweg bis nach Israel. Sieben Kutschen aus ganz Deutschland werden unterwegs sein, mit 20 Pferden und 30 Menschen und als wertvolle Fracht eine Friedensglocke, die eigens zu diesem Zweck gegossen wurde. „Wir möchten ein Zeichen für Völkerverständigung und gegen Krieg und Gewalt setzen – ohne Politik, von Mensch zu Mensch“, so Kautz über das Anliegen des Vereins, den er 2016 in Brück gründete.

Dort war er Gemeindepfarrer, bis er 2020 in die Prignitz kam. Seit 20 Jahren organisiert er auch einen Jugendaustausch mit Israel.

Pfarrer Helmut Kautz präsentiert an der Kaffeetafel in Meyenburg die Glockenreplik. Auf dem Treck wird sie die gemeinsamen Mahlzeiten ankündigen
Pfarrer Helmut Kautz präsentiert an der Kaffeetafel in Meyenburg die Glockenreplik. Auf dem Treck wird sie die gemeinsamen Mahlzeiten ankündigenSusanne Atzenroth

4800 Kilometer sind es von Brück bis Jerusalem, wo die Glocke ihren Platz in der „Hand in Hand“-Schule finden soll. Dort werden jüdische, muslimische und christliche Kinder gemeinsam unterrichtet. Die Fahrt soll acht Monate dauern, jeden Tag rollen die Räder rund 25 Kilometer. Erst auf der im vergangenen Jahr erprobten Strecke bis Prag, dann auf gänzlich unbekannten Wegen bis zur geplanten Ankunft am 24. Dezember 2025 in Betlehem.

Erster Friedenstreck fand 2018 statt

Der Ukraine-Krieg, das Massaker der Hamas, die Unruhen in der Türkei – alles das hatte es noch nicht gegeben, als der Gedanke entstand, zu dieser Mission aufzubrechen. Schon 2018, hundert Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, fuhr der Pfarrer mit einem Pferdetreck in die von Deutschen zerstörte alte russische Hauptstadt Nowgorod. Die Begegnungen mit den Menschen auf dem Weg und am Ankunftsort erlebten die Mitfahrenden als große Bereicherung. „So müssten wir eigentlich nach Jerusalem fahren“, hieß es nachher. Seither plant, berät und trainiert die Gruppe historisch interessierter Pferdefreunde für die große Reise. 2020 wurde die Friedensglocke auf der Gemeindewiese in Gömnigk von einem Wanderglockengießer gegossen – eingeschmolzen darin Militärschrott aus dem Zweiten Weltkrieg.

Als Helmut Kautz die Fotos vom Glockengießen zeigt, ziehen die Senioren sofort die Parallele zum Erkennungszeichen der christlichen Friedensbewegung der 1980er Jahre, „Schwerter zu Pflugscharen.“ Aber sie fragen sich auch, wie es ganz praktisch aussehen kann, wenn sich ein so großer Tross von Ort zu Ort bewegt. „Wo schlafen die Menschen? Und vor allem – man lebt hier auf dem Land – „Wie werden die Pferde versorgt?“

Eine Nachbildung der Friedenglocke in Form einer kleinen Handglocke. „Jaget dem Frieden nach“ ist in sie eingraviert
Eine Nachbildung der Friedenglocke in Form einer kleinen Handglocke. „Jaget dem Frieden nach“ ist in sie eingraviertSusanne Atzenroth

Einer, der das erklären kann, ist Landwirt und Gespannführer Heinz Bley. Denn während die Senioren in Meyenburg noch über das Vorhaben staunen, laufen ein paar hundert Kilometer entfernt die Vorbereitungen auf Hochtouren. Auf Bleys Kutsche wird die Friedensglocke transportiert und sechs seiner Pferde gehen mit auf die Reise. Gerade würden alle noch einmal neue Hufeisen bekommen, berichtet Bley am Telefon. Er selbst wird die vollen acht Monate mit einem weiteren Fahrer die Zügel in der Hand haben und auch auf der Kutsche schlafen, um die Friedensglocke rund um die Uhr zu bewachen.

Die weiteren Treckenden haben ihre Betten im großen Anhänger, der den Tross, von einem Traktor gezogen, begleitet. Darin befindet sich auch ein kleiner Futtervorrat für die Pferde. Und der Rest wird sich unterwegs ergeben. „Heu und Wasser gibt es schließlich überall“, so Bley. Auf ihren bisherigen Touren haben sie erlebt, wie die Menschen bei den Stopps in Städten und Dörfern neugierig auf sie zukamen, nachfragten und oft auch unterstützten – ob mit spontanen Essenseinladungen oder mit Futter für die Pferde.

Friedenstreck: Live dabei mit Tracking-Chip

„Pferde, Glocke, Brot – eine unschlagbare Kombination, um miteinander in Kontakt zu kommen“, findet Kautz. Die letzten drei Monate bis zur Ankunft wird er komplett mit auf dem Kutschbock sitzen, den Rest der Zeit wird er pendeln. „Fünfspännig in Jerusalem einfahren“, das ist sein Traum.

Ob der Treck überall so gut aufgenommen werden wird, wie es die Erfahrungen aus den ersten Fahrten zeigen – die Mitfahrenden können es nicht vorhersagen. Zudem ist die politische Lage in einigen Durchfahrtsländern brisant und ändert sich täglich. „Ich bin für die gute Laune im Treck zuständig“, sagt Helmut Kautz – und fügt ernst hinzu: „Trotz aller Vorbereitung – wir fahren ins Ungewisse“. Wer möchte, kann den Treck auf der Webseite www.friedenstreck.de anhand eines Tracking-Chips in der Glocke verfolgen.

Schirmherren der Aktion sind Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Kristóf Bálint, Generalsuperintendent im Sprengel Potsdam. Nachdem es am 6. Mai in Brück losgeht, besucht der Treck am 7. Mai Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in der Potsdamer Staatskanzlei. Heute, am 8. Mai, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, machte der Treck am Brandenburger Tor Halt. Um 12 Uhr segnete Kristóf Bálint den Friedenstreck und schickte ihn offiziell auf die Reise.

OSZAR »